
Ultrawandern boomt, Nordhessen ist eine Hochburg. Veranstaltungen wie der Habichtswaldsteig 24/12 locken immer mehr Fans des gemeinsamen Wanderns. Unser Redakteur Peter wollte es genau wissen, hat sich selbst auf die Strecke gewagt und berichtet von einem Erlebnis, das an die Grenzen geht.
Über der Weidelsburg kreisen sieben Rotmilane. Unterhalb der mächtigen Mauern klackern Wanderstöcke über den Basalt. Rucksäcke mit Startnummernhuschen durchs Buchengrün. Ruff un Runner – so lautet das Motto beim zweiten Wandermarathon auf dem Habichtswaldsteig.
Die meisten Vorbeieilenden sparen sich die Treppen hinauf zur Burg. So verpassen sie den weiten Blick über Dörfer und Waldkuppen. Die besonders Ambitionierten haben den trutzigen Bau schon im Morgengrauen passiert. Nachts sind sie mit Stirnlampen durch tropfnasse Wälder und stille Orte gestiefelt – mehr als 90 Kilometer. Nichts für mich. Und auch nicht für die rund 400 anderen, die frühmorgens auf dem Zierenberger Marktplatz stehen. Ein Geburtstagsständchen hallt durch den Nieselregen, dann steigen wir in vier Gelenkbusse nach Bad Emstal. So kürzen wir auf 47 Kilometer ab.

Wandern verbindet
Im Kurpark geben uns Bürgermeister, Pfarrerin und Blechbläser warme Worte und Marschmarsch mit auf den Weg. Dann geht es endlich los. Die Turnschuhfraktion mit kurzen Hosen und ultraleichten Karbonstöcken läuft vorneweg. Ich finde mich mit meinen Wanderstiefeln bald hinten im Feld wieder. Zusammen mit händchenhaltenden Paaren, Traditionalisten mit Wanderplaketten am Holzstock und sich rege unterhaltenden Grüppchen. Es geht um Fantasy-Computerspiele, Festgeld und die schönen Wanderwege, die kaum jemand aus der Gegend kennt.

Wandern und Plaudern passen perfekt zusammen
Das ist meine erste Erkenntnis an diesem Tag, an dem ich herausfinden will, warum solche Events immer mehr Menschen anziehen. Die häufigste Antwort: „Ich will meine Grenzen austesten.“ Das sagt die junge Dresdnerin, die mit dem Deutschlandticket gekommen ist und nach vielen Wanderurlauben probiert, wie weit sie kommt. Ebenso die Nordhessin, die sich mit dem Marathon dafür belohnt, dass sie 50 Kilo abgenommen hat. Eine über die Republik verstreute Familie sieht sich beim Wanderevent wieder. Und vier Freundinnen aus Bad Arolsen suchen jedes Jahr eine neue Herausforderung. Zuletzt war es eine MudChallenge, statt Schlammlauf ist es diesmal die Langstrecke.
Ich will meine Grenzen austesten
Aus diesem Grund versammeln sich die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer zum Ultrawandern.

Müde Muskeln
Auf den Wegen, die mit dem Habichtsignet markiert sind, findet man sich auch ohne GPS-Route zurecht. Ein Habicht lässt sich allerdings nicht blicken. Dafür kreisen Milan, Bussard und Turmfalke über uns. Goldhähnchen fiepen in den Fichten. Ein Grünspecht ruft zwischen dicken Eichen über die Wiese, sein schwarzer Kollege durch den Wald. Fauna und Flora am Wegesrand lenken mich davon ab, dass nach der halben Strecke die ersten Gelenke und Muskeln zwicken. Eine passable Kondition hilft, ersetzt aber kein Wandertraining. Ohne Vorbereitung sollte man keine Ultrawanderung unternehmen. Eine wenig überraschende Erkenntnis.
Immerhin geht es mir besser als dem Sportlehrer, der schon mehrmals die Alpen gequert und fleißig trainiert hat. Heute kämpft er sich erstmals über die Langdistanz und gesteht: „Die Knochen merke ich schon.“ Der Mann aus der Region sticht sich Blasen auf, pult Steinchen aus dem Fuß und ist gleichwohl begeistert: „Ein tolles Event.“ Nachts hat er sich mit viel Koffein wachgehalten. Getränke gibt es an den Versorgungsstationen, ebenso Schmalzbrote, frische Waffeln und Rührei. Bei der Feuerwehr oder am Sportplatz betreuen etwa 150 Ehrenamtliche die Wandersleute. An der letzten Station halte ich mich nicht lange auf – ich kann keine Bananen mehr sehen.
Damit niemand auf der Strecke bleibt, werden alle Ankommenden an den Stationen gescannt. Wer wie eine junge Frau an der Weidelsburg umknickt, wird von der DRK-Bergwacht mit der Trage aus dem Wald geholt. Wer nicht weiter will, steigt in den Shuttlebus. So wie die Therapeutin aus Kassel, die früher beim Sport und Marathon äußerst ehrgeizig war. „Ich wollte immer vorne sein, das hat mir nicht gut getan.“ Jetzt läuft sie entspannt am Ende des Feldes und verabschiedet sich vor dem letzten Anstieg. Am Bärenberg führt ein schmaler Stieg hinauf in den Wald. Ruff mögen meine Beine, so könnte ich noch lange weiterlaufen. Runner sieht es anders aus. Ich leide beim langen Abstieg auf dem Forstweg. Erst recht, als ich von einer vergnügten Gruppe überholt werde.

Jetzt kenne ich meine Grenzen
Bei der Party im Ziel sehe ich die Turnschuhtruppe wieder, die topfit wirkt. Elf Stunden war ich unterwegs – der Erste auf der doppelten Distanz nur drei Stunden länger.
Ich nehme eine Medaille, ein alkoholfreies Finisherbier und wertvolle Erkenntnisse mit: Gemeinsames Wandern ist die perfekte Gelegenheit, die eigene Komfortzone und die soziale Blase zu verlassen. Ein 90-Kilometer-Lauf steht zwar nicht auf meiner Liste – aber die Faszination für diese Herausforderung bleibt.
Wandermarathons werden deutschlandweit angeboten, besonders viele in Nordhessen. Das Spektrum reicht von eher familiären Veranstaltungen bis zu Events mit hunderten Teilnehmerinnen und Teilnehmern.
Eine Auswahl aus der Region von April bis Dezember und von zehn bis mehr als 100 Kilometern:
Bilstein-Marathon 13. April 2025
Löwenlauf Bad Zwesten 4. Mai 2025
Uplandsteig Wandermarathon 10. Mai 2025
GrimmSteig-Tage 14. bis 15. und 20. bis 22.Juni 2025
ARS NATURA Challenge 7. September 2025
24-Stunden Wanderabenteuer Edersee 12. und 13. September 2025
Habichtswaldsteig 24/12 – RUFF UN RUNNER 26. bis 27.September 2025
Vormerken für nächstes Jahr:
EXTREM-EXTREM Willingen, Diemelsee, Korbach 18. bis 20. Juni 2026
Auch jenseits solcher Großveranstaltungen fächert sich das Spektrum zunehmend auf. Mehr Menschen wandern. Denn um schöne Pfade zu entdecken, braucht es keinen Verein und keine Kartenkenntnisse mehr, sondern nur noch eine entsprechende Touren-App.
Alles wichtige für deinen Ausflug
Diese Eigenschaften bietet dir diese Route:
Der Habichtswaldsteig
Über 85 km führt der Premiumweg von Zierenberg bis zum Edersee. Es geht durch Wälder und Wiesen. Zu entdecken sind bizarre Felsen, Burgruinen und malerische Fachwerkorte. Der Weg lässt sich in vier leichte Etappen aufteilen. Neun Abzweige eignen sich jeweils für eine Wanderung über einen oder einen halben Tag. Neben vielen festen Unterkünften gibt es drei Trekkingplätze, die vorab zu buchen sind. Alle Touren lassen sich gut mit dem ÖPNV verbinden.
Gut zu wissen
Anreise
Ob Tagestour, Abzweig oder der ganze Weg – Bus- und Bahnverbindungen findest du in der Fahrplanauskunft.
Adresse
Ritterstraße 1
34466 Wolfhagen